Jeder Mensch ist in der Lage, für eine andere Person Liebe zu empfinden und mit dem Menschen, den man liebt, in einer festen Beziehung zu leben, ist für viele ein wichtiges Lebensziel. Solche Beziehungen gelten in unserer Gesellschaft als traditionelle Form des Zusammenlebens. Es gibt aber noch andere, beispielsweise polyamore Beziehungen. Was Polyamorie bedeutet, was in polyamoren Beziehungen wichtig ist und wie sie funktionieren, erfährst du in diesem Beitrag.
Was ist Polyamorie?
Stell dir vor, du bist Vater eines Kindes. Dann wirst du es natürlich mit aller Kraft lieben. Kommt jetzt noch ein zweites Kind hinzu, liebst du dieses natürlich ebenso und hörst selbstverständlich auch nicht einfach auf, das erste Kind zu lieben. Soll heißen, deine Liebe kann auch für mehr als eine Person reichen. Warum sollte das nicht auch zwischen Erwachsenen funktionieren? Du kannst also auch zwei Männer gleichzeitig lieben. Wenn das geschieht und du ganz bewusst mit beiden gleichzeitig eine Beziehung führst, nennt man dies Polyamorie. Polyamore Männer verstehen Liebe nicht exklusiv, sondern sind imstande, Liebe für mehrere Männer gleichzeitig zu empfinden. Allerdings sehen sie diese Fähigkeit nicht als Freifahrtschein für emotionale oder sexuelle Untreue an.
Beim Vergleich mit der Beziehungsform „offene Beziehung“ wird deutlich, was die gefühlsmäßige Grundlage für Polyamorie ist. In einer offenen Beziehung wissen die Partner, dass jeder auch außerhalb der Beziehung Sex mit anderen Männern hat. Der Schwerpunkt liegt dabei rein auf der Lustbefriedigung. Im Gegensatz dazu hat der polyamore Mann ein tiefes Gefühl der Liebe für alle seine Partner. Der Schwerpunkt in polyamoren Beziehungen liegt folglich auf der empfundenen Liebe, nicht in erster Linie auf der Befriedigung sexueller Wünsche. Eine wesentliche Besonderheit bei der Polyamorie besteht darin, dass allen Beteiligten der nicht-monogame Charakter der Beziehung bewusst ist und sie diesen akzeptieren.
Wenn du vermutest, dass du polyamor bist, frage dich einfach, was du möchtest, wie eine Beziehung aussehen müsste, in der du glücklich bist. Ehrlichkeit dir selbst gegenüber ist ein wichtiger Schlüssel zu einer erfüllten Beziehung.
Verhältnis der LGBTQIA*-Community zum Thema Mehrfachliebe
Die Polyamorie wird oft nicht als inhärenter Teil der LGBTQIA*-Community verstanden. Als Grund wird angegeben, dass sie nicht ausschließlich von Mitgliedern der Community, sondern auch von heterosexuellen Personen praktiziert wird. Aber natürlich kannst du als LGBTQIA*Person polyamor sein.
Befürworter der Zugehörigkeit von Polyamorie zur LGBTQIA*-Community argumentieren damit, dass polyamore Menschen, ebenso wie alle zur Community gehörenden Personengruppen von der Gesellschaft stigmatisiert werden. Hier wird sehr häufig die vom Gesetzgeber verbotene Mehrfachehe (Bigamie-Verbot) angeführt, was als Diskriminierung verstanden wird.
Mögliche Gründe für die Mehrfachliebe
Polyamore Beziehungen gewinnen vor allem in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung. Das aus der Schweiz stammende Generationen-Barometer 2023 hat aufgezeigt, dass bereits 61 Prozent aller Befragten zwischen 18 und 25 Jahren der Meinung sind, dass nicht-monogame Beziehungen zukünftig als normal angesehen und akzeptiert sein werden. Zweifel an bisher geltenden Leitbildern im Bereich der Beziehungen haben zum Beispiel die zunehmende Mobilität sowie die sich ausbreitende Mentalität der Unverbindlichkeit geweckt.
Auch die Erfahrung, in einer monogamen Beziehung glücklich gewesen zu sein und sich irgendwann auch in eine andere Person verliebt zu haben, trägt zur größer werdenden Akzeptanz der Polyamorie bei. Viele Männer wollen diese Gabe der Mehrfachliebe nicht ungenutzt lassen, sondern sind bereit, in einer polyamoren Beziehung zu leben.
Zudem sind die zahlreichen, auch rein praktischen Vorteile, die sich aus einer solchen Beziehung ergeben, Grund dafür, dass sich immer mehr Männer auf sie einlassen. Vor allem, wenn man beispielsweise in einer Dreierbeziehung zusammenwohnt, sinken etwa die Miet- und Lebenshaltungskosten, weil man sie sich teilen kann. Darüber hinaus hat man bei Problemen nicht nur einen Ansprechpartner, sondern kann auf mehrere Ratgeber zurückgreifen.
Sex als Höhepunkt, nicht Basis der Beziehung
Selbstverständlich hat Sex auch in jeder polyamoren Beziehung einen festen Platz und spielt eine wichtige Rolle. So ist es nicht selten, dass polyamore Partner auch mit mehreren Partnern gleichzeitig Sex haben. Das gilt vor allem dann, wenn du dich beispielsweise dazu entschließt, mit deinen beiden Partnern auch wohntechnisch eine Gemeinschaft zu bilden. Anders sieht es aus, wenn du zwei Männer liebst, diese voneinander wissen, aber sich nicht näher kennen. Dann sind sexuelle Erlebnisse zu dritt eher unwahrscheinlich.
Treueverständnis in polyamoren Beziehungen
In allen Partnerschaften, unabhängig von ihrem Modell, gibt es Eifersucht. Folglich sind auch in polyamoren Beziehungen die Themen Eifersucht, Unsicherheit und Untreue immer wieder präsent. Um hier ein besseres Verständnis zu haben, musst du wissen, dass Polyamorie nicht gleichzusetzen ist mit Fremdgehen. Damit eine Beziehung zwischen mehr als zwei Partnern gelingt, braucht es vor allem eine klare Definition von Treue. Was sie nicht meint, ist sexuelle oder emotionale Exklusivität. In einer polyamoren Beziehung werden mit dem Begriff zunächst einmal Eigenschaften wie Vertrauen, Zuverlässigkeit, Loyalität und Beständigkeit beschrieben. Vor allem aber wird Treue als Zugeständnis gewertet, dass man an der Beziehung festhält, obwohl oder gerade, weil man mehrere Personen liebt.
Vorteile bei mehr als einem Partner
Zugegeben, manche Männer sind schon mit einem Partner fast überfordert, sodass man sich fragt, wie das denn mit zwei Partnern klappen soll. Polyamore Paare berichten allerdings, dass eine solche Beziehung zwar manchmal doppelt anstrengend ist, man aber auch eine doppelte Kraftquelle hat, die einem Energie verleiht. Zudem ist man seltener einsam. In einer klassischen Beziehung bleibt einer oft alleine, wenn der Partner beispielsweise arbeiten ist. Bei einer Mehrfachliebe ist die Chance größer, immer einen Ansprechpartner zu haben.
Die größten Herausforderungen für Mehrfachbeziehungen
Wenn du in einer polyamoren Beziehung lebst, aber nicht mit deinen Partnern zusammenwohnst, kann sie zunächst einmal rein organisatorisch eine Herausforderung sein. Jeder deiner Partner hat ja Ansprüche und möchte Zeit mit dir verbringen. Bei zwei gleichzeitig geführten Beziehungen brauchst du also durchaus Talent in Sachen Zeitplanung. Einfacher wäre es natürlich, wenn du mit beiden/allen Partnern in einer Wohnung leben würdest. Dann fielen beispielsweise lange Anfahrtswege weg und auch die Kommunikation untereinander wäre deutlich einfacher.
Was von vielen polyamoren Paaren als große Herausforderung gesehen wird, ist die Notwendigkeit, die eigene Lebens- und Liebesform gegenüber der eigenen Familie, dem Freundes- und Bekanntenkreis sowie im beruflichen Umfeld zu erklären und zu rechtfertigen. Zu sehr ist noch die traditionelle Form des Zusammenlebens, also die monogame Beziehung, in den Köpfen der Menschen verankert. Dabei sind neue Formen des Zusammenlebens, zum Beispiel Patchwork- oder Einelternfamilien beziehungsweise Mehrgenerationenhaushalte, längst keine Ausnahmen mehr. Hier bräuchte es noch mehr Aufklärung und verstärkte Werbung zum Thema Polyamorie.
Wenn du mit zwei Partnern zusammenlebst, führt dies ganz automatisch auch immer wieder zu Spannungen, Diskussionen und Stresssituation. Dann einen Rückzugsort zu haben, an dem du deinen Partnern nicht ständig über den Weg läufst, kann sehr hilfreich und heilend für die Beziehung sein. Ein solcher Ort könnte zum Beispiel das zweite Schlafzimmer oder ein Arbeitszimmer in der gemeinsamen Wohnung sein. Wird dir die Beziehung zeitweise zu anstrengend, kannst du dich dorthin zurückziehen und die nötige Distanz schaffen, bis sich die Lage wieder beruhigt hat.
Ein Thema, das auch in Mehrfachbeziehungen immer wieder auftaucht, ist das der Gesundheit beziehungsweise der Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Allerdings ist es in polyamoren Beziehungen ja so, dass du und deine Partner aufeinander bezogen seid, auch was sexuelle Aktivitäten angeht. Die Zweifach- oder Dreifachliebe bildet hier so etwas wie eine natürliche Grenze. Solange diese nicht überschritten wird, kann gemeinsam überlegt werden, Kondome oder PrEP wegzulassen. Das Thema wird erst aktuell, wenn ein weiterer Partner ins Spiel kommt.
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