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Stell dir vor, du erklärst während eines Gesprächs unter Kollegen in der Mittagspause, dass du beispielsweise Vegetarier bist oder eine bestimmte Partei unterstützt. Das nennt man ein Outing, denn du gibst es von dir nach außen hin preis. So oder zumindest so ähnlich funktioniert das mit deiner sexuellen Neigung. Bekennst du dich vor dir selbst oder vor anderen Menschen zu einer bestimmten sexuellen Neigung, wird dies ebenfalls als Coming-out bezeichnet.
Was ist Coming-out? Ein Bekenntnis!
Wenn du dich fragst, warum man so etwas Coming-out nennt, kannst du dich zunächst einmal am Begriff selbst entlang hangeln. Coming-out (auch Comingout) bedeutet ja so viel wie „herauskommen“ oder „etwas bewusst öffentlich machen“. Es geht also darum, etwas von dir, eine Wesensart, einen Wert oder eine Neigung, nach außen hin bekannt zu machen, andere Menschen darüber zu informieren und so Klarheit zu schaffen. Ein solcher Schritt ist durchaus mit Herausforderungen verbunden, denn dein Bekenntnis kann im schlimmsten Fall auf Ablehnung stoßen, mit der du dann umgehen musst. Aus diesem Grund sollte ein Outing gut vorbereitet sein.
Das Coming-out als Prozess
Ein Coming-out läuft normalerweise in mehreren Phasen ab, die aber nicht in Stein gemeißelt sind. Jeder Mensch ist anders. Deshalb können auch die einzelnen Coming-out-Phasen verschieden lang sein und unterschiedlich intensiv wahrgenommen werden. Trotzdem durchlaufen die meisten Betroffenen sie in irgendeiner Form.
1. Das Prä-Coming-out oder die Identitätsverwirrung
Irgendwann in deiner Kindheit oder Jugend macht sich bei Betroffenen das Gefühl breit, dass sie irgendwie „anders“ sind als ihre Kameraden. Sie haben außerdem den Eindruck, dass mit ihnen irgendetwas nicht stimmt, was zu Ängsten und Schuldgefühlen führen kann. Es verwirrt sie, dass sie sich zwischen all den Jungs, die für Mädchen schwärmen, mehr vom selben Geschlecht angezogen fühlen. Sie können das, was da in ihnen vorgeht, noch nicht einordnen oder verstehen und haben auch von der gesellschaftlichen Norm, dass alle prinzipiell heterosexuell sein sollten, noch keine Ahnung. Intuitiv entscheiden sie in dieser Phase, nicht über ihre Empfindungen und Gefühle zu sprechen. Oft bemerken Eltern, dass etwas vorgeht und versuchen, es mit religiösen oder erzieherischen Mitteln zu „beseitigen“.
2. Das „innere“ Comingout
In dieser zweiten Phase verstehen sie langsam, was da in ihnen vorgeht und dass sie sich ausschließlich oder teilweise zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlen. Diese Erkenntnis macht den meisten zu schaffen und lässt die Angst wachsen, dass man tatsächlich anders ist als andere. Diese wird auch dadurch verstärkt, dass sie vonseiten ihrer Familie, Freunde oder Bekannten mit oft schon unbewusst verinnerlichten Vorurteilen gegenüber homosexuellen oder auch bisexuellen Menschen konfrontiert werden. Der Gedanke, dass sie selbst zu dieser Personengruppe gehören könnten, schürt letztlich die Angst vor Ablehnung und Ausschluss.
3. Die Verdrängungsphase
Vor allem als Jugendlicher kennt man vermutlich schon viele der (leider immer noch) herrschenden Vorurteile und den daraus resultierenden Negativbildern gegenüber homosexuellen Menschen. Genau das ist oft die Ursache dafür, dass Betroffene ihre eigenen Neigungen unterdrücken möchten, was zu extrem anstrengenden, inneren Kämpfen führen kann. In der Phase der Stigmavermeidung, wie sie auch bezeichnet wird, schaffen es Betroffene nicht, sich selbst zu akzeptieren und versuchen, ihre Gefühle vollkommen zu unterdrücken. Nicht wenige unternehmen sogar Anstrengungen, um heterosexuell zu werden. Bedauerlicherweise spielen hier auch die Eltern eine oft unrühmliche Rolle, indem sie ihr Kind in eine „Konversionstherapie“ zwingen. Der innere Leidensdruck steigt in dieser Phase oft signifikant an.
4. Phase der Identitätstoleranz & Selbstannahme
Irgendwann ist der Leidensdruck so groß, dass Menschen mit homosexuellen Neigungen anfangen, ihre bisherigen Sichtweisen infrage zu stellen. In dieser Phase der Identitätstoleranz beziehungsweise Selbstannahme beginnen sie verstärkt, nach Informationen und/oder nach Kontakten zu Gleichgesinnten zu suchen. Darüber hinaus wird damit begonnen, die eigene Sexualität zu erkunden. Es werden entsprechende Pornos geschaut, Sextoys ausprobiert oder sogar erste zarte Beziehungsversuche unternommen. Mit wachsender Selbstakzeptanz steigt die Freude darüber, sich selbst gefunden zu haben. Zudem wird das Selbstverständnis als queere Person gestärkt. Dies alles wird als erleichternde Befreiung empfunden. In dieser Phase kommt es zu ersten Outings, allerdings nur gegenüber Personen, die zur „eigenen“ Gruppe gehören.
5. Das „äußere“ Comingout
Als äußeres Comingout wird die letzte Phase des Prozesses bezeichnet. Für sie ist es Zeit, wenn die Person innerlich akzeptiert hat, wer und wie sie nun mal ist: eine queere Person mit homosexueller (oder bisexueller) Orientierung. Diese Selbsterkenntnis möchte man nicht länger für sich behalten, sondern mit den Menschen, die einem wichtig sind, teilen. Meistens erfolgt das äußere Comingout zuerst vor engen Freunden und vor der Familie. Positive Rückmeldungen und Reaktionen sind ein wesentlicher Faktor dafür, dass sich derjenige, der das Outing vollzogen hat, noch besser selbst annehmen kann und sich selbst immer stärker akzeptiert. Diese finale Phase erstreckt sich übrigens über das gesamte, restliche Leben, denn es werden immer wieder neue Menschen auftauchen und sich neue Situationen ergeben, die eine neue Entscheidung erfordern, ob man sich outen möchte oder nicht.
Probleme nach Coming-out in der Familie
Das Coming-out vor Familie und Freunden ist eine Herausforderung, immerhin gibt es laut Coming Out Day e.V. auch in Deutschland noch immer Familien, die ihr Kind nach seinem Coming-out auf die Straße setzen. Auch die Tatsache, dass 7 Prozent der unter 18-Jährigen bereits einen Suizidversuch unternommen haben, zeigt, wie schwierig die Lebenssituation queerer Jugendlicher ist. Zudem haben gar nicht oder nur teilweise geoutete Jugendliche mit depressiven Verstimmungen (66,9 %), Angstzuständen (36,1 %) oder selbstverletzendem Verhalten (17,9 %) zu kämpfen. Was Jugendliche im Coming-out-Prozess brauchen, ist das Wissen, dass sie nicht alleine sind. Allzu oft erfüllt die eigene Familie diese Aufgabe leider nicht.
Besondere Herausforderung: Coming-out am Arbeitsplatz
Auch beim Outing am Arbeitsplatz müssen viele Aspekte mitbedacht werden. Eine Umfrage aus dem Jahr 2017 hat gezeigt, dass etwa ein Drittel der damals befragten 3.000 schwulen und lesbischen Personen in ihrem beruflichen Umfeld nicht geoutet war. Eine Ursache waren Diskriminierungserfahrungen. Ein Coming-out am Arbeitsplatz kann im schlimmsten Fall zu Mobbing oder sogar zu einer Kündigung führen. Noch schwieriger ist die Situation an Schulen. Sie gelten in Deutschland leider immer noch als einer der homophobsten Orte überhaupt. Wer sich also in der Schule oder am Arbeitsplatz outen möchte, sollte vorher intensiv darüber nachdenken, wie ein solches Coming-out aussehen könnte.
Du entscheidest über dein Coming-out
Die einzige Person, die über ein Comingout entscheidet, bist du selbst. Du legst fest, ob du bereit bist, wann du das Outing vollziehst, gegenüber wem du dich bekennst und wie es abläuft. Letztlich kann sich der Prozess des Coming-out über mehrere Jahre erstrecken, und das ist auch vollkommen in Ordnung. Du selbst gibst das Tempo vor und solltest dich auch von niemandem zu einem Outing drängen lassen. Auf keinen Fall sollte es so ablaufen, wie bei Rosa von Praunheim, der 1991 Alfred Biolek und Hape Kerkeling ohne deren Zustimmung in einer TV-Sendung vor Millionen von Zuschauern quasi zwangsgeoutet hat. Es ist wichtig, dass du selbst dazu bereit bist und dich tatsächlich outen möchtest. Alles andere wäre nicht in deinem Sinne.
Probleme beim Coming-out? Lass dich unterstützen!
Wenn du merkst, dass du bei deinem Coming-out nicht weiterkommst, hol dir Unterstützung. In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Institutionen und Vereine, die eine Coming-out-Beratung anbieten. Solche Beratungen sind meist anonym, sodass du keine Angst haben musst, dass etwas in die Öffentlichkeit dringt. Denke immer daran, dass du nicht der/die Einzige bist auf diesem Weg und dass es Menschen gibt, die dich unterstützen können.
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