Vielleicht ist es dir ja auch schon passiert, dass du dich selbst (oder jemand anderen) in eine so peinliche Situation gebracht hast, dass dir das Blut in den Kopf geschossen ist und du rot wurdest. Dann hast du dich geschämt. Manche haben jede Menge von dieser Scham und erröten schon beim kleinsten Anlass, anderen scheinen im wahrsten Sinne so „schamlos“ zu sein, dass sie sich auch in noch so peinlichen Situationen nicht schämen. Was es mit Scham auf sich hat und wie du in beschämenden Situationen regieren kannst, das erfährst du in diesem Beitrag.
Was ist eigentlich Scham?
Darunter versteht man ein unangenehmes Gefühl, das sich in dir breit macht, wenn du vor anderen Menschen in eine peinliche Situation gerätst. Stell dir vor, du trainierst in einem Fitnessstudio und findest einen anderen Gast dermaßen sexy, dass du in deiner engen Trainings-Short einen harten Schwanz bekommst, den niemand übersehen kann. Für die meisten und vermutlich auch für dich, ist das ist eine mehr als peinliche Situation, für die man sich normalerweise schämt. Allerdings ist das Schamspektrum sehr breit und reicht von einer leichten Verlegenheit oder der berühmten Fremdscham bis zur tiefen Demütigung oder einem Gesichtsverlust, der beispielsweise in der asiatischen Kultur eine große Rolle spielt.
Scham als Schutzfunktion
Eigentlich übernimmt Scham eine wichtige Alarm- und Schutzfunktion, denn sie signalisiert uns, dass unser Selbst in Gefahr ist. Wir empfinden Scham vor allem, wenn wir unseren eigenen Werten nicht folgen oder auch die allgemeinen Werte der Gesellschaft, in der wir leben, missachten. Welche große Bedeutung Scham hat, erkennen wir vor allem, wenn sie fehlt. Verhält sich jemand schamlos und ist beispielsweise uns gegenüber unverschämt, überlegen wir uns vermutlich, wie man so schamlos sein kann.
„Falsches“ Schamgefühl
Leider hat die weit verbreitete Queer-, Homo- und Transphobie, basierend auf kulturellen, religiösen und politischen Vorurteilen, dazu geführt, dass sich viele queere Menschen dafür schämen, queer zu sein. Wenn dir zum Beispiel von deiner Familie, deinen Freunden und Bekannten stetig vermittelt wird, dass es falsch ist, dass man Menschen des eigenen Geschlechts liebt, kann es geschehen, dass man diese Auffassung als eine solche Person irgendwann so verinnerlicht hat, dass man sich für sein So sein schämt. Als Folge dieser verinnerlichten Queerphobie kannst du ein negatives Selbstbild entwickeln oder dich selbst verletzen.
Viele führen ein Leben im Verborgenen, denn sie können ja trotz ihrer Scham ihre Grundbedürfnisse nicht endgültig ablegen. Dieses Versteckspiel, das weiß der Verfasser dieses Beitrags aus eigener, schmerzhafter Erfahrung, wird früher oder später zu einer großen, seelischen Belastung. Oft äußern sich Betroffene auch negativ über die Gruppe, zu der sie eigentlich selbst gehören.
Das ist zum Beispiel zu beobachten, wenn Personen, die zu extravagant und sehr weich und weiblich auftreten, von manchen Schwulen dafür verurteilt werden, was dann als Femme-Phobie bezeichnet wird. Die Schwierigkeit besteht darin, dass dieses Verhalten, also der Kampf gegen das, was einen selbst ausmacht und definiert, den inneren Druck nur noch erhöht und zu noch mehr seelischem Leid führt. Von all dem gilt es, sich zu befreien.
Stolz leben, statt schamvoll dahinvegetieren
Ein Weg, sich von solch falscher Scham zu befreien, besteht darin, dein Leben mit Stolz zu leben und stolz darauf zu sein, wer du bist. Zu diesem Ziel zu gelangen kann anstrengend und auch schmerzhaft sein, aber der Lohn ist ein Leben, das von innerer Freiheit geprägt ist. Wenn du dich um dich selbst kümmerst und Selbstfürsorge betreibst, dann kannst du zu einem positiven Selbstbild gelangen und bist in der Lage, dich selbst anzunehmen und zu lieben.
Grundlage für diesen revolutionären Akt der Befreiung aus falscher Scham ist die Selbsterkenntnis, dass du wichtig und wertvoll bist und dass du es verdient hast, ohne Scham auf dich und dein Leben zu schauen. Dann wird es dir nicht mehr die Schamesröte ins Gesicht treiben, wenn dein Partner mitten auf der Straße spontan deine Hand ergreift oder dir in der U-Bahn einen dicken Kuss aufdrückt. Es macht dir auch nichts mehr aus, deinen Leder- oder Latexfetisch auszuleben oder abends in dein Drag-Kostüm zu springen. Das bezeichnet man als Kongruenz zwischen innerem und äußerem Ich.
Die Einbindung in eine Community bietet dabei die großartige Möglichkeit, dich nicht nur um dich selbst, sondern auch um andere zu kümmern und so mit deinem positiven Handeln auch anderen Personen den Weg zu geistiger Gesundheit zu ebnen. Für das geistige und spirituelle Wohlbefinden gibt es zwei wesentliche Faktoren, nämlich Zugehörigkeit und Sinn. Wir alle tragen in uns das Bedürfnis, irgendwo dazuzugehören. Wir möchten einen Ort finden, an dem wir akzeptiert, geliebt und geschätzt werden.
Wir sehnen uns nach einem Ort ohne Vorurteile, nach einem starken „Stamm“, mit dem wir uns verbinden können. Die queere Community kann ein solcher Ort und Stamm für dich sein. Eine Kerneigenschaft der LGBTQ+-Community ist, dass es fast nichts gibt, was sie dir nicht bieten kann. Egal, wie du dich selbst definierst, unabhängig davon, auf welche Sorte Mann du stehst und vollkommen egal, ob du gerne Sex an öffentlichen Orten oder lieber im heimischen Bett hast, alles ist möglich, alles hat seine Berechtigung und du musst dich für nichts schämen.
Kraft der Selbstliebe versus unangemessene Scham
Du fragst dich, was du selbst noch tun kannst, um deinen Käfig aus eingetrichterter Scham zu verlassen? Du kannst beispielsweise, wenn dir jemand mal wieder etwas Negatives sagt und dich verärgert, dir selbst etwas Gutes über dich sagen. Dieses Konzept wird von Therapeuten als “bedingungslose positive Wertschätzung” bezeichnet. Ziel ist es, andere nicht zu beurteilen, zu verurteilen oder Bedingungen für ihre Akzeptanz erfüllen, sondern sie als die akzeptieren und unterstützen, die sie sind.
Genau diese Einstellung musst du auch gegenüber dir selbst praktizieren. Wenn du dir selbst etwas Gutes über dich sagst, lernst du, dich selbst zu lieben, egal, ob du denkst, dass du im Leben, in der Schule oder in den Augen Anderer „gut“ oder „schlecht“ beziehungsweise „cool“ oder „uncool“ bist. Versuche, dich so zu akzeptieren, wie du bist. Dieses lebenslang dauernde Unterfangen mag nicht immer einfach sein, aber es lohnt sich, und je früher du dich auf diesen Weg begibst, desto eher spürst du, wie sich falsche Scham auflöst und du zu innerer und auch äußerer Freiheit gelangst.
Hilfe beim Schritt in die „schamlose“ Freiheit
Heute muss niemand mehr diesen schwierigen Weg alleine gehen. Vielleicht genügt es ja schon, in die Community einzutauchen und Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen, um den Weg in ein schamfreies und unabhängiges Leben zu finden. Innerhalb und außerhalb der queeren Community sind aber zahlreiche Institutionen entstanden, die dich professionell dabei unterstützen können, dich von der Scham zu befreien, der zu sein, der du nun mal bist.
In den meisten queeren Begegnungs- und Jugendzentren kannst du nach Selbsthilfegruppen, Therapeuten oder Beratern fragen, die dich auf deinem Weg begleiten. Den ersten Schritt musst aber immer du selbst machen und dich dazu entscheiden, dich von dem Gefühl der Scham nicht länger einsperren zu lassen, sondern dich zu befreien. Fange einfach an, dir den Traum von einem selbstbewussten, angstfreien und selbst gewählten Lebensstil zu erfüllen.
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